BauO § 36 Treppenlift und Mindestbreiten von Treppen

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Sebastian Veelken
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BauO § 36 Treppenlift und Mindestbreiten von Treppen

Beitrag von Sebastian Veelken »

Das OVG hat sich mit dem Thema in einem Beschluss vom 25.11.2009, Az. 10 A 2849/08 befasst. Die Entscheidung ist leider (noch?) nicht in NRWE verfügbar.
Veröffentlicht ist aber die Entscheidung der Vorinstanz, VG Düüsseldorf, Urt. vom 01.10.2008,

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25 K 3193/08
Der entschiedene Sachverhalt wird vom VG folgendermaßen beschrieben:
Bei diesem Haus handelt es sich um ein Haus mit sechs Wohnungen auf drei Wohnebenen. Der Treppenlift soll eine Wohnung im ersten Obergeschoss erreichen. Hinter der Hauseingangstür führt zunächst eine Treppe mit 5 Stufen zum Erdgeschoss, sodann führt die Treppe mit 2 x 8 Stufen zum ersten Obergeschoss. Im Ruhezustand soll der Lift im Keller geparkt werden; in den Keller führen 9 Stufen. Insgesamt soll der Lift 30 Stufen überwinden. Die Treppe ist jeweils ca. 1,10 m breit, an der Wand befindet sich ein Handlauf mit einem Wandabstand von 8,5 cm. Nach den vorgelegten Bauzeichnungen verbleibt zwischen Handlauf und Montageschiene des Liftes eine Breite von 73,9 cm (Kellertreppe), 72,6 cm (Treppe zum Erdgeschoss), 75,8 cm bzw. 76,8 cm (Treppenabschnitte zum ersten Obergeschoss).
Der Anspruch auf Erteilung einer Abweichung wird vom VG mit folgenden Gründen abgelehnt:
Nach § 36 Abs. 5 BauO NRW muss die nutzbare Breite der Treppen und Treppenabsätze notwendiger Treppen mindestens 1 m betragen. Diese Breite wird nach Einbau des Treppenlifts unstreitig nicht erreicht. Das Vorhaben bedarf mithin der Zulassung einer Abweichung. Bereits deren gesetzliche Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt.

Denn die Zulassung einer Abweichung kommt nur dann in Frage, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere, d.h. "atypische" Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist, (...)

Dies ist hier nicht der Fall. Es handelt sich, wie bereits im Ortstermin erörtert, um ein gewöhnliches Treppenhaus mit üblichen Maßen, wie es sie zu Hunderttausenden gibt. Soweit die Klägerin (...) darauf verweist, die spezielle Situation des Einbaus eines Treppenliftes sei nicht so typisch, wie sie in hunderttausenden Treppenhäusern gegeben sei, ergibt sich daraus nichts anderes. Im Ortstermin sind bereits die vielen Zeitungsanzeigen diverser Treppenlifthersteller erörtert worden; der Vorsitzende hat darauf hingewiesen, dass man den Anzeigen z.B. "M – der meistverkaufte Treppenlift" über die Jahre hinweg den Verkaufserfolg ansehen kann und "M" in den letzten Anzeigen nach der Erinnerung des Vorsitzenden über 50.000 verkaufte Treppenlifte nennt. Auch ein Treppenhaus mit Treppenlift stellt somit keine atypische Situation dar. Entsprechend verweist die Kommentierung von Gädtke a.a.O. darauf, dass es beim nachträglichen Einbau von Treppenliften immer wieder zu Konflikten mit den materiellrechtlichen Anforderungen an die erforderliche Breite von Treppen komme.

Ist mithin bereits der Tatbestand des Gesetzes nicht erfüllt, so kommt es auf die Bedeutung des zitierten ministeriellen Erlasses nicht an, mit dem das Ministerium den genannten Konflikt hat lösen wollen, der aber das Gesetz nicht ändern kann. Angemerkt sei, dass auch die Anforderungen des Erlasses nicht erfüllt sind. (wird ausgeführt)
Im nicht veröffentlichten Beschluss des OVG NRW heißt es noch einmal:
Die Regelungen des § 36 BauO NRW dienen sowohl dem Brandschutz als auch der Verkehrssicherheit und damit dem Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bewohner und Besucher eines Gebäudes, aber auch dem Schutz der Rettungskräfte. Die Vorschriften zum Brandschutz enthalten ein System von gesetzlich mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit festgelegten Mindestanforderungen, die aufeinander abgestimmt sind, und im Fall eines Brandes eine 8elbstrettung oder eine Rettung durch die Feuerwehr gewährleisten sollen. Die ausdrückliche Festsetzung einer Mindestbreite stellt zudem eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers dar, die den am Bau Beteiligten Rechts- und Planungssicherheit gibt und die es den Bauaufsichtsbehörden ermöglicht, die Einhaltung der Vorschrift ohne größeren Aufwand festzustellen. Sie dient damit auch dem öffentlichen Interesse daran, aufwändige Einzelfallprüfungen und Auseinandersetzungen über die Frage, ob eine abweichende Gestaltungen noch ausreichend ist, zu vermeiden.
Dementsprechend ist Im Baugenehmigungsverfahren auf die in der Bauordnung festgelegten Maße abzustellen, so dass eine Abweichung von den entsprechenden Vorschriften über den Brandschutz regelmäßig nicht in Betracht kommt. (...)
Die Ausführungen in der Zulassungsschrift zum Vorliegen einer atypischen Situation sowie zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bzw. zu Art 3 GG und dem Behindertengleichstellungsgesetz können zu keiner anderen Bewertung führen.
Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen überwiegen im Regelfall - und so auch hier - die hochrangigen öffentlichen und privaten Interessen der - u.U. auch älteren oder gehbehinderten - Bewohner und Besucher das ohne Zweifel beachtliche Interesse eines Einzelnen, die Erreichbarkeit seiner Wohnung in den Obergeschossen zu erleichtern.
Damit geht das OVG im Vergleich zum nordrhein-westfälischen Bauministerium von einer deutlich strikteren Einhaltung der Mindestbreiten aus.
Im Klartext: Die Einengung der Laufweiten gefährdet die Bewohner und Besucher aller Wohnungen eines Gebäudes derart gravierend, dass das Interesse eines einzelnen Bewohners an der per Aufzug erleichterten Nutzung seiner OG-Wohnung dahinter zurücktreten muss.
Das Bauministerium hatte seine Vorgaben bekanntlich in dem Erlass des Ministeriums für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW vom 17. November 2004 – II A 4.R-100/36 – niedergelegt
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