BauO NRW § 6 Abs. 15, § 6 Abs. 6: OVG-Erläuterungen

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BauO NRW § 6 Abs. 15, § 6 Abs. 6: OVG-Erläuterungen

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Eher erläuternden Charakter haben die Ausführungen des OVG NRW in seinem Urteil vom 08.03.2007, Az. 7 A 3782/05, in denen sich das OVG zum einen mit § 6 Abs. 15 BauO NRW - Änderungen im Bestand - und zum anderen mit § 6 Abs. 6 BauO NRW - ehemaliges Schmalseitenprivileg - befaßt.
Spektakuläre Neuigkeiten lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen, beruhigend mag aber sein, dass das OVG keine durchgreifenden Bedenken an den Vorschriften in ihrer geänderten Fassung hat.
Die Entscheidung ist im Volltext bei NRWE verfügbar, zu finden am besten über das Aktenzeichen

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7 A 3782/05
Aus den Gründen:
Die Absatznummern der Online-Version stehen jeweils am Ende des Absatzes in eckigen Klammern. Alle Hervorhebungen stammen von dem Verfasser.
Dem Gebot, eine sozial gerechte Eigentumsordnung zu gewährleisten, trägt § 6 Abs. 15 BauO NRW auch in seiner Neufassung Rechnung. Sie geht über den bisherigen Anwendungsbereich des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW a. F. insoweit hinaus, als die in Satz 1 beschriebenen Nutzungs- und baulichen Änderungen keine Prüfung nachbarlicher Belange fordert und auch keine Ermessensentscheidung verlangt. Der Gesetzgeber hat insoweit für den eng umschriebenen Anwendungsbereich des Satzes 1 festgelegt, wann eine Nutzungsänderung dem Nachbarn zumutbar ist. Er hat damit das Tatbestandsmerkmal der Geringfügigkeit im Sinne des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW a. F. aufgegriffen (wohl auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Senats vom 15. April 2005 - 7 A 19/03 - BRS 69 Nr. 135) und konkretisiert.
[47]
Vgl. zur Intention des Gesetzgebers, mit § 6 Abs. 15 zur Gewährleistung einer sozial gerechten Eigentumsordnung beizutragen: Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drucks. 14/2433 zu Abs. 15 der Neuregelung. [48]

§ 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW n. F. geht über den beschriebenen Anwendungsbereich des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW a. F. hinaus und erlaubt nunmehr auch solche baulichen Änderungen, die das Maß der Geringfügigkeit überschreiten und auch nicht mehr an die den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW a. F. einschränkende Voraussetzung gebunden sind, dass Länge und Höhe der den Nachbargrenzen zugekehrten Wände nicht verändert werden dürfen. Weiterhin ist jedoch Grundanliegen des Gesetzgebers, auf einen Interessenausgleich zum Wohle der Entwicklung einer sozial gerechten Eigentumsordnung hinzuwirken. Demgegenüber verbleibt es wie bei der bisherigen Regelung des § 6 Abs. 15 Satz 1 BauO NRW a.F. auch bei der Anwendung des § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW n.F. dabei, dass die nachbarlichen Belange zu würdigen sind. Auch ist weiterhin eine Ermessensentscheidung vorausgesetzt. Die in die Ermessensentscheidung einzustellenden Erwägungen können den oben dargestellten Ausführungen des Senats im Urteil vom 24. Juni 2004 - 7 A 4529/02 -, aaO. entnommen werden. [49]

Unter Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Beigeladenen ist die streitgegenständliche Gebäudeerweiterung nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW n.F. zu gestatten. Welches Ausmaß die nach § 6 Abs. 15 Satz 2 BauO NRW n. F. zulässigen baulichen Änderungen im allgemeinen annehmen dürfen, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Unzulässig sein dürfte allerdings im Regelfall eine solche Änderung, die der wirtschaftlichen Neuerrichtung der baulichen Anlage gleichkommt, die geändert werden soll. [50]
So auch der Gesetzentwurf der Landesregierung, a.a.O. zu § 6 Abs. 15. [51]

Um einen solchen Fall geht es hier jedoch nicht. Die vom Vorbescheid erfasste Erweiterung des Wohnhauses berührt nachbarliche Belange der Klägerin nur ganz erheblich geringer gewichtig als die Interessen der Beigeladenen an der Erweiterung des Wohnraumes des bestehenden Wohnhauses. Das Wohnhaus bleibt in den Bereichen unverändert, in denen es nach heutiger Rechtslage im Falle einer Neuerrichtung abstandflächenrechtlich nicht genehmigt werden könnte. Die Gebäudeerweiterung hingegen stünde mit den geltenden Abstandanforderungen in Übereinstimmung, wenn es sich um ein selbständiges Gebäude handeln würde. Der Interessenbewertung liegt eine abstandflächenrechtliche Betrachtung zugrunde, in die eingestellt wird, inwieweit sich die Gebäudeerweiterung selbst auf abstandflächenrechtlich geschützte Belange der Klägerin überhaupt erheblich auswirkt. Wirkt sich die Gebäudeerweiterung auf die abstandflächenrechtlich erheblichen Belange selbst nicht aus, führt dies - vorbehaltlich entgegenstehender öffentlicher Belange - gewöhnlich und so auch hier zu einer Gestattung nach § 6 Abs. 15 BauO NRW. [52]

Die Gebäudeerweiterung ist bei isolierter Betrachtung abstandflächenrechtlich unerheblich. Auch in diesem Zusammenhang ist abzustellen auf den durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung neu gefassten § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW. Danach genügt auf einer Länge der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze als Tiefe der Abstandfläche ein Maß von 0,4 H. Mit der Formulierung "Länge der Außenwände" hat der Gesetzgeber die zu § 6 Abs. 6 Sätze 1 und 3 BauO NRW a. F. ergangene Rechtsprechung aufgegriffen, die in Anknüpfung an den Wortlaut des Gesetzes prüfte, ob und wann gegeneinander versetzte Außenwände eines Gebäudes noch als eine (die Anwendung des sog. Schmalseitenprivilegs ermöglichende) Außenwand angesehen werden konnte und wann dies nicht mehr der Fall war. [53]

Vgl. z. B. auch das im Verfahren gleichen Rubrums ergangene Urteil des Senats vom 17. Juni 2002 - 7 A 1829/01 -. [54]

Nach nunmehriger Rechtslage sind jedoch sämtliche zu einer Grundstücksgrenze ausgerichteten Außenwände eines Gebäudes von zusammen nicht mehr als 16 m insoweit privilegiert, als vor ihnen als Tiefe der Abstandfläche eine Abstandfläche von 0,4 H, mindestens jedoch 3 m ausreicht. Es kommt demnach nicht mehr darauf an, ob gestaffelt bestehende Wände eines Gebäudes bei natürlicher Betrachtungsweise wie zwei Außenwände wirken, solange es sich um die Außenwände eines Gebäudes handelt, die zu einer Grundstücksgrenze ausgerichtet sind. Auch kommt es nicht mehr darauf an, ob und wie oft das Maß von 0,4 H gegenüber anderen Gebäuden oder anderen Grundstücksgrenzen ausgeschöpft wird, da es gegenüber jeder Grundstücksgrenze in Anrechnung gebracht werden darf. Dass die vom Vorbescheid hier umfasste Gebäudeerweiterung einschließlich der Brüstung der Dachterrasse selbst dann den nach der Neuregelung erforderlichen Grenzabstand von 0,4 H einhält, wenn dem Vortrag der Klägerin entsprechend berücksichtigt würde, dass das natürliche Geländeniveau gradlinig verlaufen soll und ungefähr 30 cm tiefer liege als von den Beigeladenen angenommen, bedarf keiner weiteren Ausführungen, zumal auch die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 8. Februar 2007 insoweit keine Zweifel angemerkt haben. [55]

Die § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW n. F. zugrunde liegende Bewertung des Gesetzgebers entspricht auf den jeweiligen Grundstücksnachbarn bezogen insoweit der bisherigen Rechtslage, als er zu seinem Grundstück mit der Anwendung des Schmalseitenprivilegs grundsätzlich rechnen musste. Der Regelung liegt eine Bewertung zugrunde, welche Bebauungsverdichtung dem Nachbarn zuzumuten ist. Diese Bewertung erfasst auch das hier maßgebliche Verhältnis der Grundstücke der Beigeladenen und der Klägerin zutreffend. Es sind auch keine weiteren überwiegenden Interessen der Klägerin daran ersichtlich, die Gebäudeerweiterung auf dem Grundstück der Beigeladenen zu verhindern. Im Bereich der Gebäudeerweiterung haben auch früher schon, wenngleich geringer dimensionierte Nebenanlagen gestanden. Die Wohnnutzung wird zu einer völlig untergeordneten Beeinträchtigung des Grundstücks der Klägerin führen, die ohne weiteres hinzunehmen ist. Die Wohnungen sind nur vom vorderen Teil des Gebäudes zugänglich. Dies betont die Klägerin in anderen Zusammenhang, da sie fürchtet, ihr Grundstück müsse genutzt werden, um den "Anbau" zu erreichen, weil die Erschließung nicht gesichert sei. Nicht anders als bei in geschlossener Bauweise errichteten Gebäuden, wird die Erreichbarkeit des Wohnhauses der Beigeladenen jedoch von der Straße, der H1.-----straße , aus gewährleistet. Die Dachterrassennutzung entspricht üblichen Gegebenheiten in innerstädtischen Wohnlagen. [56]

Gründe des Brandschutzes stehen der Wohnhauserweiterung ebenfalls nicht entgegen. Wie sich aus der Bewertung des § 31 BauO NRW ergibt, genügt ein Grenzabstand von 2,50 m bei einem Gebäude der hier in Rede stehenden Größenordnung den Brandschutzanforderungen. Ob die Garagen auf dem Grundstück der Klägerin selbst den Brandschutzanforderungen genügen, ist nicht im vorliegenden Verfahren zu prüfen. [57]

Stehen nach alledem dem Vorhaben der Beigeladenen keine gewichtigen nachbarlichen Belange entgegen - entgegenstehende öffentliche Belange sind ohnehin nicht erkennbar, wie die Erteilung des Vorbescheids durch den Beklagten im Ergebnis bestätigt -, ist das Ermessen des Beklagten auf die Erteilung der Gestattung reduziert. [58]
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