Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 15. September 2011 (Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts * Deutschland) * Land Hessen/Franz Mücksch OHG
(Rechtssache C-53/10)
Leitsätze:
(Hervorhebungen und [Ergänzung] von mir)1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (...) ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben
einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden [hier: einem Gartencenter] andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt Darmstadt (Deutschland) zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.
2. Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82 in der durch die Richtlinie 2003/105 geänderten Fassung vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt
den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass
die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.
Die Entscheidung im Volltext beim EuGH
Zum Sachverhalt (aus der EuGH-Entscheidung):
12 Mücksch beabsichtigt, auf einem in ihrem Eigentum stehenden Baugrundstück im Gewerbegebiet „Nordwest“ der Stadt Darmstadt (Deutschland) ein Gartencenter für den Einzelhandelsverkauf von Gartenbedarf zu errichten.
13 Auf dem Grundstück wird bislang eine Schrott‑ und Metallrecyclinganlage betrieben, in deren Umgebung sich gewerbliche Nutzungen verschiedener Art wie großflächiger Einzelhandel, Großhandel, Werkstätten und ein Hotel befinden. Ein Bebauungsplan für das Gebiet liegt jedoch nicht vor. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts erteilte die Stadt Darmstadt Mücksch einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Bauvorhabens in Form einer gebundenen Entscheidung gemäß § 34 BauGB in geänderter Fassung, wobei die Stadt aufgrund dieser Bindung daran gehindert war, das Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände selbst zu beurteilen.
14 Merck ist in einer Entfernung von etwa 250 m vom Grundstück von Mücksch angesiedelt. Sie betreibt Anlagen, in denen chemische Stoffe, namentlich Chlor, verwendet werden, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82 und der 12. BImSchV fallen. Merck legte erfolgreich Widerspruch gegen den Bauvorbescheid