In dem Beschluss des OVG NRW vom 05.03.2007 - Az. 10 B 274/07 sowie einer weiteren - in diesem Punkt inhaltsgleichen - Entscheidung vom 02.03.2007 führt das OVG NRW unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzentwurfes aus, dass das in sich geschlossene System des § 6 durch die am 28. Dezember 2006 in Kraft getretene Änderung des § 73 BauO nicht verändert wurde.
§ 73 BauO verlange weiterhin das Vorliegen eines atypischen Falles (z. B. einen atypischen Grundstückszuschnitt durch abknickende oder nicht rechtwinklige Grenzen). Die Vergleichsbetrachtung mit einer nach § 6 BauO zulässigen anderen Bebauung allein wird zur Rechtfertigung einer Abweichung nicht akzeptiert. Zur Begründung bezieht sich das OVG insbesondere auf die Begründung zu dem Gesetzeentwurf, die dieser Änderung nur eine "klarstellende" und keine rechtsändernde Funktion beimißt.
Danach läßt sich für Bauaufsichtsbehörden nur wiederholen: Finger weg von § 73 Abs. 1 S. 2 BauO!
In beiden Entscheidungen betont der 10. Senat mehrfach, dass sie mit dem ebenfalls für Bausachen zuständigen 7. Senat abgestimmt seien.
Die Entscheidung ist noch nicht in NRWEveröffentlicht, aber dafür vorgesehen. An einer Bereitstellung für diese Seiten wird gearbeitet.
OVG NRW Beschluss vom 05.03.2007 - Az. 10 B 274/07
und Beschluss vom 02.03.2007, 10 B 275/07
Zur Erinnerung: Der Vorschriftentext
Aus den Gründen des Beschlusses vom 05.03.2007:73 Abweichungen
(1) Soweit in diesem Gesetz oder in aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften nichts anderes geregelt ist, kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Abweichungen von § 6 sind insbesondere zulässig, wenn durch das Vorhaben nachbarliche Interessen nicht stärker oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt werden als bei einer Bebauung des Grundstücks, die nach § 6 zulässig wäre.
(...)
Aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 BauO NRW 2006 ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der gesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 2 für das Abstandflächenrecht eine von der bisherigen Rechtslage und ihrer Anwendung durch das erkennende Gericht grundsätzlich abweichende Regelung schaffen wollte. Die Entwurfsbegründung rechtfertigt nicht eine dahingehende Auslegung. Dagegen spricht insbesondere auch eine systematische Interpretation der §§ 6 und 73 BauO NRW unter Beachtung des Rechtsstaatsprinzips.
(...)
Das in § 6 BauO NRW geregelte, in sich geschlossene System der Abstandflächen hat durch die Neuregelung keine grundsätzliche Änderung erfahren. Es enthält weiterhin Regel- und Ausnahmetatbestände, die eine zentimetergenaue Bestimmung der Abstandflächentiefe vorschreiben. (...) Das Erfordernis, Gesetze gleichmäßig, d.h. unter Wahrung des Rechtsstaatsprinzips und des Gleichheitssatzes auszulegen und zu vollziehen, gestattet nicht ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Abstandflächenvorschriften. Mit diesen hat der Gesetzgeber nicht nur die zu schützenden Rechtsgüter festgelegt, sondern auch die Art und Weise, in der diesen Anforderungen Rechnung zu tragen ist.